Der Weg des Master of Wine

output_sQOL8OMit 12 Jahren sah ich das erste Mal die Star Wars Triologie und war sofort begeistert von den Jedis. Durch unerbittlich hartes, jahrelanges Training beherrschten sie ihren Körper und Geist und konnten so Unmögliches möglich machen. Nur die Besten wurden schlussendlich in den Stand des Masters erhoben. Vielleich hatte ich diese kindliche Faszination noch im Hinterkopf, als ich das erste Mal vom Master of Wine hörte, denn es machte sofort klick bei mir.

Begonnen hat alles zu meinen Zeiten als Sommelier in Dublin. Dort hatten wir einen Gast namens Alan Crowley. Als ich ihn zum ersten Mal sah, raunte mir mein Kollege Charles zu: „Das ist der größte Weinexperte, den ich kenne, und der erste irische Master of Wine!“ Ich war weniger beindruckt von Alan Crowley, sondern eher davon, dass Charles vor einem Menschen so viel Respekt haben konnte. So entschied ich mich dazu, mehr über diese Qualifikation zu erfahren.

Der Master of Wine (kurz MW) wurde 1953 eingeführt. Im selben Jahr haben Tenzing Norgay und Edmund Hillary als erste Menschen den Mount Everest bestiegen. Mittlerweile haben über 4.000 Menschen den höchsten Berg der Welt bezwungen, es gibt aber nur 318 MWs. Das liegt vor allem daran, dass die Prüfungen enorm schwer sind. In der theoretischen Prüfung wird man innerhalb von vier Tagen zu allen Themen der Weinwelt befragt und muss 12 schlüssige Aufsätze innerhalb von 12 Stunden verfassen zu Fragen wie: „Following the malolactic conversion, what options are available to reduce alcohol levels in finished wine? When and how should they be deployed?“ Dann muss man über drei Tage 36 Weine (pro Tag 12 Weine in zwei Stunden) blind erkennen und ausführlich beschreiben. Dass sich bei Bestehen eine Dissertation über ein Thema der eigenen Wahl anschließen würde, hörte sich dagegen wie ein Vergnügen an.

„Eine der schwersten Prüfungen der Welt, die einem harte Arbeit und Leiden trotz einer furchtbar geringen Chance zu bestehen abverlangt – ich bin dabei!“ So, oder so ähnlich waren damals meine Gedanken, und es begann mein Weg.

Es ist bereits über vier Jahre her, dass ich mich auf den Weg zu meinem ersten Master of Wine Seminar machte. Ich war kurz vorher nach London gezogen, hatte bei Liv-ex, einem damals noch kleinen, schnell wachsenden Startup, begonnen zu arbeiten und war entschlossen, mir meinen lange gehegten Traum zu erfüllen – den MW. Man hatte mich gewarnt, dass es eine unglaubliche Belastung sein werde, den MW neben dem Job zu machen, und dass ich eigentlich noch viel zu jung und unerfahren sei, um damit zu beginnen. Ich hatte all diese Einwände in den Wind geschlagen, doch auf meinem Weg zur Österreichischen Handelskommission in London, wo der Kurs stattfinden sollte, war mir doch etwas mulmig.

Nachdem ich mich kurz umgeschaut hatte wusste ich, dass ich wohl der Jüngste im Kurs war. Neben mir saßen der Chef-Önologe von Gallo International und der Chefredakteur des Drinks Business. Einer der bekanntesten Weinkritiker Deutschlands war in meiner Klasse und lauschte mit mir den Worten der Geschäftsführerin des Institutes of Masters of Wine, die uns erklärte, warum es eigentlich eine selten dämliche Idee war, dass wir uns eingeschrieben hatten. Denn die Chance auf Erfolg sei gering (dies geschah wohlweislich, nachdem wir die Kursgebühren bezahlt hatten).

An diesem Tag begann das MW Programm. Es handelt sich beim MW nicht um einen Universitätskurs im klassischen Sinne, denn das Programm ist zum großen Teil „Self-guided“. Konkret bedeutet das, dass man akademische Leitplanken gesetzt bekommt, aber selber entscheiden muss, was man wie und wann lernt. Es gibt ein paar vereinzelte Kurse und eine Seminarwoche pro Jahr – das war’s dann auch. Ich habe mich darum recht schnell mit Mitstudenten zusammengeschlossen, um gemeinsam so viele Blindverkostungen wie möglich zu machen und Aufsätze auszutauschen. Morgens vor der Arbeit setzte ich mich eine Stunde hin, um zu lernen, in meiner Mittagspause korrigierte ich Aufsätze von meinen Kommilitonen und abends ging ich auf Verkostungen. Sonntags saß ich an meinem Schreibtisch, um mich durch die Weinwelt zu lesen oder ging zu Verkostungen unter Prüfungssituationen, die von MWs in London und Umgebung angeboten wurden. Es war viel Arbeit, aber ich liebte es.

Mittlerweile habe ich die theoretische und praktische Prüfung hinter mich gebracht, sitze in den letzten Wochen oft stundenlang an meiner Master of Wine Dissertation und kann jetzt wirklich aus vollem Herzen sagen, dass auch sie kein Vergnügen ist! Jeder, der einmal eine lange wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat, weiß, wie das an der Energie zehren kann. Die Mühen werden einem aber noch einmal dadurch erschwert, dass man nicht weiß, ob sie eines Tages belohnt werden. Dennoch hat mich die letzte Zeit dazu bewegt, mich an die Anfänge meines Weges zu erinnern und mir vor Augen zu führen, was ich alles gelernt habe. Drei Lektionen sind mir dabei besonders in den Kopf gekommen, vielleicht können sie ja auch Euch helfen!

 

Lektion 1: Unvermitteltes Wissen ist vergeudetes Wissen.

Einer der furchteinflößendsten Momente im Leben eines MW Studenten ist es, zum ersten Mal einen Wein blind vor dem versammelten Kurs zu verkosten. Bei meinem ersten Mal hatte gerade vorne rechts einer meiner Mitstreiter den vor ihm stehenden Soave als Chablis (oh Schande!) identifiziert. Ich war mir bei dem nächsten Wein recht sicher und hob die Hand. Clive, der Master of Wine, der die Klasse leitete, nahm mich dran: „Yes, Constantein please!“ Ich murmelte „Konstantin“ und las meine recht kurze Antwort vor. Ich sprach von der strohgelben Farbe, den Aromen reifer Apfel, Zitrone, Pfirsich, dem dichten Körper und dem langen Abgang bevor ich verkündete „Riesling“. Clive schaute mich an und sagte: „Richtig! Ich glaube aber nicht, dass Du mit der Antwort bestanden hättest! Es geht nicht nur darum, dass Du recht hast, es geht vor allem darum, dass Du erklärst, warum du recht hast.“ Meine Beschreibung hätte auch auf einen Chardonnay oder einen Grauburgunder zutreffen können. Obwohl ich die richtige Antwort wusste, hatte ich nicht klar vermittelt, wie ich darauf gekommen war. Nur wenn man klar vermitteln kann was man weiß, kann man auch anderen helfen, Wein zu verstehen.

 

Lektion 2: Überlege, entscheide und gogogogo!

Die Theorie im MW wird oftmals unterschätzt, sie ist aber ebenfalls eine enorme Herausforderung. Am Anfang des Studium bekommt man den Master of Wine Syllabus in die Hand gedrückt, der so ziemlich jedes Thema von „Alkoholmanagement“ bis „Zuteilung von Agrarfördermitteln“ beinhaltet. Das ist wohl begründet in dem ursprünglichen Anspruch des MWs, alles über die Weinwelt wissen zu müssen. Alles zu wissen ist natürlich unmöglich, man muss sich aber auch heute noch in einer enormen Bandbreite von Themengebieten und internationalen Märkten auskennen.

Die Herangehensweise ist aber eine andere als bei meinem Studium in Geisenheim, wo ich lernen musste, dass der pH-Wert den negativen dekadischen Logarithmus der Wasserstoffionen-Aktivität beschreibt (keine Ahnung, warum ich das noch weiß). Beim MW hingegen muss man verstehen, was der pH-Wert ist und was für Auswirkungen er auf die Weinbereitung hat. Es geht also um das Verstehen und nicht nur um das Wissen.

In den Kursen wurde uns daher immer wieder gesagt, dass wir das „How and Why“ beantworten sollen und nicht das „What and Where“. Das beinhaltet aber auch, dass man sich vom sicheren Halt der Fakten loslöst und sich auf zunächst wackeligen Beinen in dem freien Raum der Interpretation bewegt.

In MW Essays gibt es daher in der Regel kein richtig oder falsch. Es geht vielmehr darum, dass man das Thema verstanden hat und in einem möglichst klaren, autoritären Stil erläutert, was die bekannten Fakten für den Winzer, den Fachhändler oder die Supermarktkette bedeuten. Nur wenn man ein Thema wirklich versteht, kann man Zusammenhänge erkennen, und nur wenn man die Zusammenhänge erkennt, kann man mutig genug sein, sich für eine Argumentationsrichtung zu entscheiden.

Das „gogogogo“ bezieht sich darauf, dass man eines nie hat in MW Prüfungen: Zeit. Man muss sich also enorm schnell dafür entscheiden, was man sagen möchte in einem Aufsatz und dann die eigenen Gedanken klar strukturiert aufs Papier bringen. Genauso verhält es sich mit den Blindverkostungen: Ist es ein Cabernet Sauvignon oder ein Syrah…?? gogogogo!

 

Lektion 3: Umso steiler der Aufstiegt, desto leichter fällt man.

Der von mir sehr geschätzte Wissenschaftler Daniel Kahnemann hat in seinem Buch Thinking, Fast and Slow einem weitverbreitetem Problem den Namen „Unternehmerische Täuschung“ gegeben. Das Problem zeigt, dass wir uns oftmals dazu hinreißen lassen, unsere persönlichen Chancen deutlich zu überschätzen. So liegt die Rate der Neugründungen, die die ersten fünf Geschäftsjahre überstehen, in den USA bei 35%. Umfragen haben aber ergeben, dass Gründer ihre persönlichen Chancen um ein Vielfaches höher einschätzen!

Die Chancen, den Master of Wine zu bestehen, liegen bei unter 10%. Nur jeder elfte Student wird eines Tages das Abschlusszertifikat in den Händen halten. Dennoch waren wir uns zu Beginn alle ziemlich sicher, dass das schon klappt. Im Laufe der Jahre habe ich aber einige Studenten am Rande des Zusammenbruchs, mit tränenerfüllten Augen und herunterhängenden Schultern gesehen, und manchmal war ich einer von Ihnen.

Interessanterweise wird es auch nicht weniger schlimm, wenn man schon länger dabei ist. Es ist eher genau anders herum: Umso mehr man an Zeit, Geld und Nerven investiert hat, desto mehr tut das Scheitern weh. Ich habe die theoretische und praktische Prüfung als einer der ersten aus meinem Kurs bestanden und könnte der Erste aus meinem Jahrgang sein, der die Dissertation besteht. Dennoch weiß ich nicht, wann oder ob ich es wirklich schaffe.

Was man aber daraus lernen kann: Es ist keine Schande, sich ehrgeizige Ziele zu setzten und dann zu scheitern. Dafür kenne ich zu viele unglaublich intelligente und talentierte Studenten, die sich mit mir die Wochenenden um die Ohren geschlagen haben und dennoch nicht durchgekommen sind.

Eine Schande wäre es, wenn wir uns nie kennengelernt, nie gemeinsam den Weg beschritten und zusammen geträumt hätten, davon, dass wir es eines Tages auf den Wein Olymp schaffen und dann auch die zwei Buchstaben an unseren Namen anhängen können: „MW“.

13 Comments

Lochar Hans Ulrich

Ich habe hohen Respekt vor allen, die sich solchen Aufgaben stellen. Wenn es dann noch mit dem Titel klappt ist es natürlich der Olymp des Weinhimmels. Wenn man dann noch normal bleibt und nicht arrogant wird, ist es die Krone.

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Stefan Kaaf

… Und nicht Deine Seele und all die Aufrichtigkeit an einen Discounter zu verkaufen… Bitte!

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Michael Lang

Sehr interessant zu lesen, weckt Neugier und läßt nachempfinden, wie viel Spaß es machen kann einen harten und steinigen Weg zugehen, der endlos erscheint… Grundsätzlich sage ich: „Man darf im Leben mehrmals auf die Fresse fallen aber man sollte sich immer dem Mut, die Kraft und den Willen bewahren immer wieder aufzustehen, um seinen endlos erscheinenden Weg bis zum Ende weiter zu gehen…“. Besten Gruß und weiter machen, danke… 🙂

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florian Zill

grüß dich,
Erstmal ein großes Lob für deinen interessanten Bericht! In deinem Bericht nennst du das Master of Wine Syllabus als eine Art „Bibel“ für euch‘
Weiter beschreibst du wie du bin einem „einfachen“ weinveschreibung ermutigst wurdest das ganze genauer zu beurteilen!
Wie hast du dir das beigebracht aus einem einfachen gelb- Ton auf eine goldgelbe reife Frucht zu assoziieren?
Danke für deine Antwort und weiterhin viel Erfolg!
Grüße aus der Pfalz
florian

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Konstantin Baum

Hallo Florian,

den sensorischen Teil der Prüfung kann man nur nach sehr viel Übung bestehen. Zum einen muss man sehr viele Rebsorten und Weinarten (z.B. Riesling, Madeira, Port, Sangiovese) verkostet haben, um zu verstehen, welche Charakteristika sie ausmacht. Dann muss man lernen, diese Charakteristika auch blind zu erkennen und außerdem verstehen wie man Unterschiede der Qualität, des Alters und der Weinbereitung erschmecken kann. Des Weiteren muss man lernen, welche Worte diese Weine am unverwechselbarsten beschreiben und wie man diese Worte so schnell wie möglich auf Papier bringt („gogogogogo“ ;)).

Die Unterschiede zwischen verschiedenen Fruchtaromen lernt man am besten, wenn man an diesen Früchten mal bewusst riecht! Wir nutzen unseren Geschmacks- und Geruchssinn VIEL zu selten und es ist erstaunlich, was man erreichen kann, wenn man nur etwas bewusster auf die Produkte achtet, die man isst. Übrigens; wenn Du einen Wein vor Dir hast und reifen Pfirsich riechst und jemand anderes (auch wenn es ein Weinexperte ist) riecht das Aroma nicht, dann ist das vollkommen ok. Wir haben alle bestimmte Aromen, die wir stärker wahrnehmen als andere – das ist auch beim Geschmack so. Ich kenne einige gute Verkoster, die keine Pfeffernoten wahrnehmen können, dafür aber enorm sensibel auf flüchtige Säure reagieren.

Hoffe ich konnte Dir helfen – vielen Dank für Deinen Kommentar und ich hoffe, Du verfolgst weiterhin, was hier bei meinelese passiert!

Beste Grüße, Konstantin

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