Lidl: Seit wann ist gut, gut genug?!

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Der Lidl-Konzern hat Millionen in die Werbung gesteckt, um die eigene Marke aufzupolieren. Durch hochwertige, mit Emotionen geladene Werbespots versucht man sich dahin zu platzieren, wo Lidl eigentlich nichts zu suchen hat: in das Discounter-Premium-Segment (what a Antithese …!). Dabei ist Lidl in den letzten Jahren doch eher durch Bespitzelung eigener Mitarbeiter und den Verkauf von verseuchtem Käse aufgefallen. Aber so ist es halt mit der Werbung: Sie muss nicht der Wahrheit entsprechen, solange sie nur nicht eindeutig lügt. In den letzten Wochen wurde ich oftmals gefragt, was ich von der neuen Lidl Kampagne halte, weil ich selber Wein verkaufe und Lidl sich gerade große Weinkompetenz mit einem Master of Wine eingekauft hat.

Als Filmkunst-Liebhaber muss ich sagen, dass die Werbefilme gelungen sind. Ich will damit aber nicht dem Discounter gratulieren, sondern eher denen, die diesen Spot gedreht haben. Wenn man sich die Bilder anschaut, dann kommen große Emotionen rüber: Ein Mann schwimmt gegen die Wellen an in einem durch den Sonnenuntergang geröteten Ozean, ein Vater hält sein Neugeborenes zum ersten Mal in den Händen und ein junges Paar tanzt auf der leeren Tanzfläche. Der dazu gesprochene Text steht aber im krassen Gegensatz zu den Aufnahmen: Woran erkennt man guten Wein?

Das Wort „Gut“ bedeutet laut dem Duden, den Ansprüchen genügen, ohne nachteilige Eigenschaften oder Mängel. Ist das wirklich das, was wir anstreben sollten, wenn wir Brot backen, Kaffee rösten oder Wein keltern? Seit wann ist gut, gut genug? Wenn ich mir die Flasche Rotwein von Lidl aus Südfrankreich für € 3,99 einschenke, dann werden dessen Herkunft, Geschmack und aromatische Fülle wahrscheinlich ohne nachteilige Eigenschaften und Mängel sein. Aber ist das genug, um damit werben zu können?

Viele Menschen aus den verschiedensten Branchen haben sich über diese Werbung aufgeregt, und ich persönlich glaube auch, dass sie fehlleitend ist aufgrund des Widerspruchs zwischen Bild und Ton. Lidl hat nun auch einige teurere Weine im Sortiment, aber ihre Kernkompetenz bleibt es, Produkte ohne nachteilige Eigenschaften oder Mängel von großen Produzenten mit möglichst geringem Aufwand zum Kunden zu bringen.

Um aber wirklich das volle Genusspotenzial eines Weines auszuschöpfen, muss ich den Wein verstehen, und das kann ich oft nur, wenn ich verstehe, was der Winzer sich bei seiner Herstellung gedacht hat. Warum hat er die Erträge so tief gefahren? Warum hat er gedacht, dass sich dieser abgelegene Hang besonders gut für seine Reben eignet? Warum hat er sich dazu entschlossen, die alte Presse seines Großvaters wiederzubeleben? Kann Lidl das rüberbringen? Kann es einen Wein wie den 2010er Nenin den Ansprüchen der Kunden genügend erklären? Ich würde behaupten, der durchschnittliche Lidl-Verkäufer im Laden schafft das nicht und auf der Lidl-Webseite schaffen sie das auch nicht. Wer kann schon etwas mit dieser Weinbeschreibung anfangen: „hervorragender Wein, wirklicher Duft und Geschmackstiefe, natürliches Gleichgewicht, große Frische und langer Abgang“?

Wenn ich nach Wein suche, dann will ich etwas Besonderes, ein Getränk, das mich dorthin transportiert, wo der Wein gemacht wurde, mich zum Lächeln bringt und mir sogar Tränen in die Augen treiben kann. Der erste Wein, der mich wirklich begeistert hat, war ein La Grand Rue von Francois Lamarche.

Ich weiß noch genau, wie der Wein mich zunächst enttäuschte. Mir wurde gesagt, dass La Grand Rue nur durch einen schmalen Pfad von der weltberühmten Lage Romanée-Conti getrennt wurde,    dennoch brachte der Wein nichts rüber, er war noch viel zu jung und daher verschlossen. Mein Weinhändler des Vertrauens erklärte mir, dass das in diesem Stadium normal sei, und riet mir dazu,   zu warten. So ließ ich ihn über Nacht stehen.

Als ich früh am Morgen den Korken wieder aus der Flasche zog und den rubinfarbenen Wein in mein bauchiges Burgunderglas einschenkte, war ich gespannt und voller Vorfreude. Der Wein duftete nach mehr als die Weine, die ich vorher probiert hatte: Ich hatte Aromen von reifen Schwarzkirschen, Kaffee, trockenem Laub und Erde in der Nase. Der Geschmack war nicht weniger spannend, denn die reifen, herben Tannine und die erquickende Säure belebten meine Geschmackspapillen, wie es wenige Dinge zuvor getan haben. Ich war selig und beschwingt, und das lag nicht am Alkohol. Ich hatte eine spannende Transformation miterlebt und dabei entdeckt, dass Gerüche und Geschmäcker mich glücklich machen können.

Dieser Moment wird mir immer im Gedächtnis bleiben, denn er war besonders. Genauso, wie das erste Mal, als ich gegen die kräftigen Wellen auf Bali ankämpfen musste, um hinaus aufs Meer zu kommen, oder als ich meinen kleinen Neffen zum ersten Mal auf dem Arm halten durfte, oder der erste langsame Tanz mit meiner Frau Lisa. Diese Momente bleiben mir im Gedächtnis, weil sie so viel besser als mein letzter Besuch bei Lidl und so viel mehr als nur „GUT“ waren.

 

Nachwort: Die auf den Fotos dargestellten Produkte wurden von mir bei Lidl eingekauft und fotografiert.

7 Comments

Rieslingfan

Das Problem an der Lidl-Kampagne ist doch eigentlich, dass hier der Qualitätsbegriff verdreht wird. Die Botschaft ist: es ist gut, wenn es für den Normalverbraucher nach gut schmeckt, egal wie industriell, mit welchen (Schönungs-)Mitteln und unter welchen ggf. ausbeutenden Bedingungen das hergestellt wurde. Hauptsache günstig und dem deutschen Hans mangels Geschmacksprägung schmeckend. Dann ist doch alles andere wurscht und ich kann mich als Lidl-Käufer toll finden und mich freuen was ich doch für tolle Produkte konsumiere. Das ist die FATALE Botschaft. Das soll nun Qualität im Sinne von „gut“ sein????? Nein, das ist nicht gute Qualität! Das ist hingedrehtes, hingemurkstes, industriell verarbeitetes, „gemachtes“ Zeug. Das hat mit Qualität im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun. Das ist nur noch ein Zerrbild von Qualität!

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Simon

I did manage to get a very interesting Hospice de Beaune wine at my local Lidl, with what the french would call a bon rapport qualite prix. It’s quite tricky to buy single bottle old burgundy retail. Interestingly the person at the till thought the pricing system was wrong and tried to change the price to 2.99. That would have been a bargain. I realise this has no bearing on their advertising campaign. I also had some very nice pata negra ham which I had not managed to try before.

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Konstantin Baum

That is hilarious Simon! 2.99 would have been a great price… I have never had Pata Negra from Lidl but great meat is normally difficult to find at discounters in my experience.

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Rotwein Liebhaber43

Klar ist Lidl eine gute Einkaufsmöglichkeit, aber man sollte dem spezielen Themen (zum Beispiel Rotwein ), dann doch lieber beim Profi beziehungsweise Weinhandel einkaufen. Ich denke der Lidl Rotwein kann mit der Qualität eines Weinhandel nicht mithalten und man hat ja auch bei Lidl nicht wirklich eine Beratung für den richtigen Rotwein. Da ist man in einem Weinshop oder Weinhandel beim Profi besser beraten. Frage. Hast du den Chianti probiert? Oder von welchen Rotwein redest du im Text? Ist mir nicht ganz klar geworden =)

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