Weirde Weine aus Oregon

Mit einem pochenden Kopf wachte ich auf, denn die letzte Nacht in Washington State hatte ihre Spuren in meinen Nervenbahnen hinterlassen. Weine mit 15% Alkohol tun das mit einem, auch wenn sie zum Essen getrunken werden, und meine Cabernet gegerbte Zunge sehnte sich nach etwas Finesse … Da traf es sich gut, dass mein nächster Stopp Pinot Country war! Es gibt wenige Anbaugebiete, die sich in so kurzer Zeit zu einem der weltweit führenden Pinot Noir Herstellern gemausert haben (im Burgund hatten sie immerhin knapp 2000 Jahre Zeit). Oregon ist heute mit 7.000 ha Pinot Noir Rebfläche auch mengenmäßig eines der bedeutendsten Anbaugebiete der Welt für diese Rebsorte. In Deutschland hat keine Region über 6.000 ha!

Landschaft

Ich überschritt die Grenze zu Oregon in Walla Walla, einem der drei Anbaugebiete, die gleichzeitig zu Washington State und Oregon gehören. Auch Columbia Gorge und Columbia Valley gehören zu dieser Gruppe, und ich will mir gar nicht ausmalen, was es für einen administrativen Aufwand bedeutet, die Gesetze von zwei Bundesstaaten mit den Auflagen eines Anbaugebietes in Einklang zu bringen. Vor allem nicht so früh am Morgen und auch nicht auf nüchternen Magen. Kaum war ich aus dem Hotel ins Freie getreten, wurde mir aber vor Augen geführt, dass es große Unterschiede zwischen den zwei Bundesstaaten gibt, die über die Rebsortenauswahl hinausgehen.

In Washington State hatten wir Luxusbusse und eine ganze Crew von Reisebegleitern, die meine Gruppe von MW mit allem versorgten, wonach das Herz begehrte, und uns sogar die Koffer hinterhertrugen. In Oregon gab es nur einen Reiseleiter und einen Bus, der in den 70er Jahren gebaut wurde. Der Busverleih spezialisiert sich darauf, alte Busse, die verschrottet werden sollten, aufzuarbeiten. Das sei besser für die Umwelt, wurde mir erklärt. Mit einer Vermutung, was mich die nächsten Tage erwarten würde, klemmte ich meine viel zu langen Beine hinter den Sitz und akzeptierte, dass die Klimaanlage bei Außentemperaturen um die 40 Grad nicht funktionierte.

Bart

Meine Erwartungen wurden bestätigt, denn Oregon war tatsächlich anders. Statt Abendessen gab es „Locally sourced dinner“ und die Menschen, die uns in den nächsten Tagen begegneten, gaben sich oft sehr viel Mühe, anders zu sein. Das Motto von Portland, der größten Stadt Oregons, ist: Keep Portland Weird! und so hat die Region schon immer weirde Leute angezogen. Immerhin ist hier auch Steve Jobs aufs Reed College gegangen und ist stinkend und barfuß jeden Sonntag zum Hare Krishna Tempel gelaufen, für ein warmes Mal … So trat Master Sommelier und Winzer bei Hiyu Wine Farm Nate Ready mit verfilztem Bart und einer raffinierten Latzhose vor uns als wolle er sagen: Ich bin der hippste Farmer, den Ihr je gesehen habt! Den Preis für den abgefahrensten Bart gewann Michael Davies, Winemaker bei Rex Hill, mit seinem nach unten gewachsten Zwirbelbart, und es gab einige Bärte zu bewundern in Oregon …

Oregon ist anders, will anders sein, und das liegt in der Geschichte des Staates begründet. Während bei uns in Deutschland viele Weingüter durch viele Generation weitervererbt wurden, gab es in Oregon keinen Wein, bis in den 60er Jahren die ersten anstrebenden Winzer kamen, und die waren halt Hippies und Einsiedler. So sind es hier vor allem kleine, handwerklich arbeitende Betriebe, die die Landschaft bestimmen, und man spricht eher wie ein exzentrischer Bauer und weniger wie ein Marketing Manager. Man musste damals auch etwas verrückt sein, um hier Weinbau zu betreiben, denn selbst an der University of California Davis (der Hochburg für US Weinwissenschaftler) gab es einen klaren Konsensus: In Oregon kann man keinen Wein machen!

Einer der ersten Pioniere, die diesem Konsensus widersprachen und wohl der einflussreichste Winzer der Region, war David Lett von The Eyrie Vineyards. Ohne viel Erfahrung und gegen alle Vernunft hatte er, als er sich ins Ungewisse aufmachte, 3.000 Pinot Reben im Gepäck, die er im Willamette Valley pflanzte. Damit legte er den Grundstein für die heutige Weinbauszene in Oregon, aber damals fühlte es sich sicher nicht so an. Seine Weine gewannen erst an Ansehen, als der 1975er Pinot Noir South Block von Eyrie im Jahr 1979 bei einer Verkostung des Gault Millau von französischen Spitzenweinen und Weinen aus der neuen Welt unter die Top 10 kam. Auf einmal schaute die ganze Welt auf das kleine Weingut und das große Weingut Drouhin aus dem Burgund entschied sich sogar daraufhin ein Weingut in Oregon zu gründen. Viele Jahre später hat sich hier Einiges getan. David Lett ist leider schon 2008 gestorben, doch Oregon und insbesondere sein Willamette Valley haben sich in der Zwischenzeit in der internationalen Weinszene etabliert, und David Lett ist, durch die Klone seiner ursprünglich 3.000 Reben für immer tief in der Region verankert.

St Innocent

Wenn jemand Wein aus Oregon kennt, dann kennt er wahrscheinlich vor allem das Willamette Valley. So ging es zumindest mir, als ich hierherkam. Das hat auch seine Gründe, denn das Willamette Valley macht zwei Drittel der gesamten Rebfläche in Oregon aus. Es gibt aber insgesamt 18 AVA (American Viticultural Area) und 700 Weingüter, die hier 11.500 ha bewirtschaften. Damit ist Oregon der fünftgrößte weinproduzierende Staat nach Californien, Washington State und – wer hätte es gedacht – New York und Pennsylvania. Besonders wichtig ist aber, dass man den Namen des größten Anbaugebietes richtig ausspricht! Kein französischer Akzent wird akzeptiert, kein genuscheltes wilamet wird toleriert, denn Willamette reimt sich auf Damn it! So hört man immer wieder: Damn it – it’s Willamette! von den Einheimischen, bis es aufhört lustig zu sein.

Klimatisches

Oregon ist aber deutlich mehr als nur das Willamette. Die Region weist (wie auch Washington State) deutliche Unterschiede zwischen dem Klima an der Westküste und dem Inland auf. An der Küste fällt mehr Regen, und man spricht hier klimatisch von einem gemäßigten Regenwald, während die östliche Hälfte des Staates eine Wüste ist. Ganz anders als in Washington State sind aber die Weinberge hier nicht im Regenschatten der Cascade Mountains gelegen, sondern auf deren Westseite. So sind die Weinberge und alles Drumherum deutlich grüner und saftiger und Bewässerung ist kein Muss. Wer übrigens noch an die Mär glaubt, dass das Klima sich entlang der Breitengrade sehr ähnlich verhält, wird hier schnell sehen, dass dem nicht so ist. Die Stadt McMinnville liegt im Herzen des Willamette und auf dem 45. Breitengrad, genauso wie Pauillac und Tain L’Hermitage. Hier wird aber weder Cabernet noch Syrah angebaut, sondern Pinot ist King. Tatsächlich ist hier die durchschnittliche Temperatur während der Reifezeit sogar unter der des Burgunds und nur knapp über der in der Champagne.

Das im Norden gelegene Columbia Gorge ist sogar noch kühler, während das südliche Oregon und das im Inland gelegene Walla Walla eher im selben Temperaturbereich wie Bordeaux und die nördliche Rhone liegen. Die Regenzufuhr ist hier deutlich konstanter, denn von April bis September bekommt das Willamette Valley 206 mm Regen ab. Im nördlichen Columbia Gorge und im südlichen Rogue Valley sind es nur 132 mm. Grob gesagt findet man daher im Columbia Gorge elsässer und deutsche Rebsorten wie Pinot Noir, Pinot Gris, Gewürztraminer und Riesling (mit dem obligatorischen Chardonnay), im Willamette die Pinots und im südlichen Oregon kommen zu den vorher genannten Sorten auch Syrah, Tempranillo, Merlot und Cabernet Sauvignon hinzu.

Kleine Rebe

Gerade vom Süden war ich neben den Klassikern aus dem Willamette begeistert. Hier entstehen reichhaltige Rotweine mit viel Eleganz und Syrah und manche unerwarteten Rebsorten wie Viognier und Dolcetto bringen hervorragende Weine hervor. Das Columbia Gorge ist meiner Meinung nach noch auf einer Selbstfindungsmission. Hier wird momentan ein bisschen von allem angebaut; und man weiß noch nicht so ganz, wo die Reise hingeht. Worauf ich mich aber hier konzentrierten will, ist das Willamette Valley. Das liegt nicht nur an der Tatsache, dass es mit Abstand die wichtigste Region ist, sondern auch daran, dass mir besonders ein Moment hier die Augen geöffnet hat.

Willamette – Terroir in the making

Wenn ich an das Highlight in der Oregon-Woche denke, dann waren das nicht die „locally sourced dinner“, die Winzerbärte oder die weindurchnässten Abende … es war stattdessen eine recht nüchterne Pinot Noir Verkostung unterschiedlicher Bereiche des Willamette. Das Ziel war hier; die Unterschiede in der Region aufzuzeigen, was meist gar nicht so einfach ist. Um so eine Verkostung erfolgreich durchzuführen, bedarf es umfänglicher Planung und Organisation. Alle Weine kamen aus dem Jahrgang 2010 – ein kühlerer Jahrgang, der hervorragende Qualitäten hervorgebracht hat – und der ausgesucht wurde, um ihre Herkunft so klar wie möglich im Glas aufzuzeigen. Wir verkosteten fünf bis sechs Weine pro AVA, um herauszuarbeiten, was sie verbindet. Ich saß die gesamte Verkostung mit aufgerissenen Nüstern da und staunte über die Fähigkeit der Rebsorte Pinot Noir, seine Herkunft aufzusaugen und abzugeben. Oft wird ja behauptet, dass das nur im Burgund so richtig klappt, aber auch hier, achteinhalb Tausend Kilometer entfernt und mit einer Weinbaugeschichte, die in Jahrzehnten und nicht in Jahrtausenden gemessen wird, sind diese Unterschiede so deutlich spürbar, dass es weh tut. Auch für die Winzer war diese Veranstaltung eine Offenbarung, denn in der Form hatten sie ihre Weine auch nicht verkostet.

Keller

Meine Zusammenfassung der sechs Willamette Sub-AVAs von Nord nach Süd ist wie folgt:

Yamhill-Carlton: Die AVA wird wie ein Hufeisen von Bergketten umgeben und hat so Schutz vor Wind und Regen von Westen, Norden und Osten. Hinzu kommt, dass die Böden hier Wasser schnell schlicken und so die Rebe um Wasser kämpfen muss.

Hier hat man in allen Weinen Kraft, reife Tannine und reife Fruchtaromen gefunden. Es war für mich der Flight, bei dem der Stil der AVA am klarsten rauskam.

Chehalem Mountains: Hier kann man alle drei wichtigen Bodentypen der Region finden – Basalt, Meeressediment und Löss – und die AVA ist recht breit gefächert.

Die Weine waren für mich am vielseitigsten, vielleicht bedingt durch die unterschiedlichen Bodenarten. Die Stile in der Verkostung reichten von sehr reifen Exemplaren bis zu leichten Weinen.

Ribbon Ridge: Ribbon Ridge ist ein Ausläufer der Chehalem Mountains, doch die AVA ist deutlich homogener als ihr Nachbar. Sie ist aber auch die kleinste AVA im Willamette mit 325 ha. Hier findet man hauptsächlich vom Wetter geschützte Weinberge, gepflanzt auf Meeressedimentböden.

Die Weine weisen eine sehr homogene Stilistik auf mit Finesse und Eleganz und sind für mich die „europäischsten“ Weine der Region.

Dundee Hills: Die ersten Trauben wurden hier angebaut, und es ist heute die dichtbepflanzteste Subregion im Willamette. Der Boden besteht fast ausschließlich aus Basalt.

Die Weine sind hier leicht und frisch mit großer Eleganz und Reinheit und haben Aromen von Himbeeren und schwarzem Tee.

McMinnville: Die Region grenzt direkt an die Coast Range. Diese Bergkette schützt das Willamette vor vom Pazifik kommendem Wetter. Der Süden von McMinnville liegt aber frei und bekommt mehr Wind ab.

Hier fand ich die Weine sehr unterschiedlich. Manche waren reichhaltig, andere eher etwas unreif. Ein verbindendes Element waren hier die griffigen Tannine.

Eola-Amity Hills: Hier bestehen die Böden hauptsächlich aus Basalt und sind sehr steinig und karg. Obwohl dies die südlichste AVA ist, wird der Bereich stark durch Wind vom Meer abgekühlt, der durch einen Korridor in den Bergen hierher weht.

Die Weine sind hier sehr komplett. Sie zeigen gleichzeitig reife Fruchtaromen, reife Tannine und eine frische, lebendige Säure.

Weird

„Wow, ich habe innerhalb kürzester Zeit begriffen, was diese Region für ein Klima, eine Geologie und eine Kultur hat!“, dachte ich nach dieser Veranstaltung, und dasselbe könnte über meine Reise durch Oregon gesagt werden. Natürlich gibt es hier noch so viel mehr zu entdecken als man in einer Woche unterbringen kann, aber ich habe verstanden, dass Oregon außergewöhnlich ist. Nur wenig hat mir nicht geschmeckt, weil hier viele Weine spannende Geschichten erzählen und weit weg vom Mainstream sind. Die vielen kleinen Produzenten machen zum Teil hervorragende Weine, die auch lange reifen können (zu meinen Highlights gehörten ein 1990 Eyrie South Block Pinot Noir und ein 1995 Argyle Dry Reserve Riesling). Da ist es dann auch egal, dass die Klimaanlage im aufgearbeiteten Bus nicht funktioniert hat und dass manche Bärte vielleicht zu viel des Guten waren. Oregon soll weird bleiben und die Weine sollen sich genauso wie ihre Macher frei entfalten, denn was dabei entsteht, möchte ich nicht mehr missen. Keep Oregon Weird!

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